Museen und ihre Verantwortung

In Zeiten von Kürzungen im Kultursektor stehen Museen vor großen Herausforderungen. Sie sind weit mehr als bloße Aufbewahrungsorte für historische Artefakte; Museen tragen eine enorme Verantwortung für die Bewahrung und Vermittlung unseres kulturellen Erbes. Sie ermöglichen es uns, die Vergangenheit zu verstehen, sie kritisch zu reflektieren und sie in Beziehung zur Gegenwart zu setzen. Doch gerade jetzt, wo die gesellschaftlichen und politischen Diskurse immer mehr von historischer Verklärung und gezielten Mythenbildungen geprägt werden, sehen sich Museen mit immer knapperen Mitteln konfrontiert. Ihre zentrale Aufgabe, Geschichte objektiv und umfassend zugänglich zu machen, wird durch finanzielle Einschränkungen bedroht. In dieser angespannten Lage wird klar, wie sehr die Vermittlungsarbeit der Museen – als Grundpfeiler demokratischer Bildung – auf Unterstützung angewiesen ist, um ihre Verantwortung für die Gesellschaft weiterhin erfüllen zu können.

So ein Museum ist schon eine seltsame Einrichtung. Wenn wir uns die offizielle Definition eines Museums anschauen, die der ICOM, der internationale Museumsverband, geprägt hat, dann lesen wir folgendes:

„Ein Museum ist eine nicht gewinnorientierte, dauerhafte Institution im Dienst der Gesellschaft, die materielles und immaterielles Erbe erforscht, sammelt, bewahrt, interpretiert und ausstellt. Öffentlich zugänglich, barrierefrei und inklusiv, fördern Museen Diversität und Nachhaltigkeit. Sie arbeiten und kommunizieren ethisch, professionell und partizipativ mit Communities. Museen ermöglichen vielfältige Erfahrungen hinsichtlich Bildung, Freude, Reflexion und Wissensaustausch.“

Das Wort Museum stammt aus dem Altgriechischen. Das Museion war das Heiligtum der Musen. Das im 3. Jahrhundert v. Chr. gegründete Museion von Alexandria war eine der bedeutendsten Forschungseinrichtungen der Antike, ihm angegliedert war die Bibliothek von Alexandria – die größte und wichtigste Bibliothek der antiken Welt. Die Musen, denen das Museion ja gewidmet war, die Schutzgöttinnen der Künste, sind neun. Darunter: Erato, die Liebevolle, Sehnsucht Weckende, die Muse der Liebesdichtung; Thalia, die Festliche, die Blühende, die Muse der Komödie; die erste Muse ist aber Klio, die Rühmende. Sie ist die Muse der Geschichtsschreibung, die mit den Attributen Schreibgriffel und Papyrusrolle dargestellt wird. Und so wird aus dem Museion auch im Laufe der Geschichte das Museum, das materielles und immaterielles Erbe erforscht, sammelt, bewahrt, interpretiert und ausstellt. Es widmet sich der Geschichte im weitesten Sinne.

Geschichte ist vielschichtig und lässt sich in mehreren Dimensionen betrachten. Sie ist die Gesamtheit unserer Vergangenheit, die Erinnerung an die Menschheit und eine Wissenschaft, die uns durch die Untersuchung dieser Vergangenheit reflektieren lässt. Geschichtswissenschaft ist dabei eine besondere Disziplin, da sie gleichzeitig eine Kunst ist: Sie verleiht den Erinnerungen eine Gestalt, die nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die Poesie berührt. Der Historiker Leopold von Ranke erkannte dies und sagte, dass die Historie Kunst ist, „indem sie das Gefundene, Erkannte wieder gestaltet, darstellt.“

Gerade der linguistic turn, eine philosophische Bewegung, hat unser Verständnis von Geschichte stark verändert. Sprache wurde als Medium infrage gestellt: Ist es überhaupt möglich, die Realität vergangener Zeiten in Worte zu fassen? Heute wissen wir, dass historische Texte immer nur die Erinnerung an die Vergangenheit widerspiegeln – niemals die Vergangenheit selbst. Geschichte ist das, was „geronnen“ ist, wie die Historikerin Simone Lässig es formuliert. Wir arbeiten mit dem, was uns an Überresten geblieben ist, sei es als Text, als materielles Objekt oder als Erinnerung.

Mit Dingen im Museum ist es so eine Sache. Sie sind Überreste einer nicht mehr vorhandenen Realität: Vergangenes ist vergangen und kann nicht mehr erreicht werden. Die Materialität von alten Gegenständen verändert sich mit der Zeit, auch Gegenstände sind einem unaufhaltsamen Alterungsprozess ausgesetzt. Dazu gibt es die schöne Geschichte des Schiffs des Theseus. Plutarch erzählt von diesem Schiff folgendes:

„Das Schiff, auf dem Theseus mit den Jünglingen losgesegelt und auch sicher zurückgekehrt ist, eine Galeere mit 30 Rudern, wurde von den Athenern bis zur Zeit des Demetrios von Phaleron aufbewahrt. Von Zeit zu Zeit entfernten sie daraus alte Planken und ersetzten sie durch neue intakte. Das Schiff wurde daher für die Philosophen zu einer ständigen Veranschaulichung zur Streitfrage der Weiterentwicklung; denn die einen behaupteten, das Boot sei nach wie vor dasselbe geblieben, die anderen hingegen, es sei nicht mehr dasselbe.“

Die Philosophie hat das Problem mit Theseus’ Schiff auf die Spitze getrieben. Man stelle sich vor, mit den alten Planken aus dem ursprünglichen Schiff hätten die Athener nun ein neues gebaut. Welches ist denn nun das Schiff des Theseus? Ist es das erste, das die Athener aufbewahrten und durch ständige Reparaturen am Leben hielten? Ist es das aus den alten Planken neu erbaute? Sind es vielleicht beide, hätte sich also der Gegenstand quasi magisch verdoppelt? Oder ist es keines von beiden?

Was wir auf jeden Fall annehmen dürfen, ist, dass beide Schiffe dem Andenken des Theseus dienen können. Und wir dürfen auch weiterhin annehmen, dass das Schiff ohne die Story dahinter nutzlos ist, denn es hätte seine historische Bedeutung verloren. Wir müssen also immer die Story, die Erzählung hinter der Geschichte bedenken, wenn es um die Vermittlung am historischen Gegenstand geht – ohne diese sind Exponate im Museum bedeutungslos.

So, wie das Schiff des Theseus aufbewahrt wurde, so begann auch das Museion zum Museum zu werden. Indem man Dinge, die mit Heldentaten verknüpft wurden, die durch Großes mit Bedeutung versehen worden waren, aufbewahrte und die Stories zum Gegenstand erzählte. Hier sehen wir auch den Hauptgrund für die Beschäftigung mit der Geschichte. Es ist die Faszination für Stories, für Geschichten. Gehen diese Geschichten aus der Geschichte, die Stories, verloren, so sind die Gegenstände zumeist bedeutungslos. 

Es gibt wunderbare Beispiele für solche Gegenstände, die so einen musealen Charakter gewonnen haben. Die Dinge, die wir in Museen ausstellen, sind weit mehr als nur Objekte – sie sind Zeugen der Vergangenheit. Nehmen wir das Horn Olifant, die Heilige Lanze oder den Schrein der Heiligen Drei Könige: Jedes dieser Objekte trägt eine tiefe Symbolik und verbindet uns mit den Geschichten, Mythen und Glaubenswelten ihrer Zeit.

Die Gegenstände, die wir heute in Museen finden, wurden ursprünglich oft aus völlig anderen Gründen bestaunt, als wir sie heute bewahren. Diese Objekte trugen einst Bedeutungen, die tief mit den religiösen, politischen oder mythischen Vorstellungen ihrer Zeit verknüpft waren. Doch diese Bedeutungen sind nicht statisch. Im Laufe der Jahrhunderte haben sich die Deutungen verändert. Aus Symbolen göttlicher Macht oder militärischer Tapferkeit wurden Kulturgüter, die wir heute als Zeugnisse der Vergangenheit betrachten und erforschen.

Dieser Wandel zeigt, dass Bedeutungen verhandelbar sind – sie werden von jeder Generation neu interpretiert und an die aktuellen Gegebenheiten angepasst. Es liegt an uns, diese Deutung aktiv mitzugestalten und sie nicht denjenigen zu überlassen, die sie für ihre eigenen, oft destruktiven Zwecke missbrauchen möchten.

Hier schließt sich der Kreis: Museen tragen in dieser Hinsicht eine besondere Verantwortung. Sie müssen nicht nur bewahren, sondern auch aufklären und sicherstellen, dass die Vermittlung von Geschichte offen, sachlich und frei von ideologischen Verzerrungen bleibt.

Geschichte ist immer verhandelbar. Die Bedeutung, die wir Ereignissen und Objekten beimessen, verändert sich mit der Zeit – je nachdem, wer die Deutungshoheit besitzt. Daraus ergibt sich für uns eine große Verantwortung: Die Bedeutung von Geschichte und ihre Interpretation dürfen wir nicht denjenigen überlassen, die unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung feindlich gegenüberstehen.

Gerade Museen tragen hier eine besondere Verantwortung. Sie sind nicht nur Orte der Aufbewahrung und Präsentation, sondern auch der Reflexion und der Deutung. Geschichte ist immer politisch – und das, was wir lehren und vermitteln, hat die Macht, Dinge zum Guten oder zum Bösen zu wenden. Wir sehen in der Gegenwart, wie gefährlich eine manipulative Geschichtsschreibung sein kann: In Russland wird die gesamte Rechtfertigung für den Krieg gegen die Ukraine auf eine verzerrte historische Grundlage gestellt. Falsche Tatsachen, nationalistische Mythen und bewusst gewählte Begrifflichkeiten werden genutzt, um ein Narrativ zu schaffen, das den Angriff auf die Ukraine als notwendig und gerecht erscheinen lässt. Dabei wird klar: Die Nazis der heutigen Welt sitzen nicht in Kiew, wie es Moskau behauptet, sondern in Moskau.

Deshalb sind Museen, auch die im Landkreis Gifhorn, entscheidende Akteure in der Geschichtsforschung und -vermittlung. Sie leisten professionelle, unvoreingenommene Arbeit, die dazu beiträgt, Geschichte objektiv zu verstehen und aufzuklären. Doch diese Arbeit braucht Unterstützung. Um weiterhin qualifizierte Fachkräfte zu halten und ihrer Verantwortung gerecht zu werden, müssen Museen gut ausgestattet sein. Die Vermittlung von Geschichte ist kein Luxus, sondern ein Grundpfeiler unserer Demokratie und des gesellschaftlichen Zusammenhalts.