Kann man Latein anders lernen, anders lehren? Ich glaube fest daran, dass es geht. In einer losen Serie von Beiträgen möchte ich andere Wege aufzeigen, wie Begeisterung für diese wunderbare Sprache geweckt werden kann. Die ausgetretenen Pfade der althergebrachten Grammatiken, die abschrecken, vieles sehr kompliziert erscheinen lassen und der Entwicklung eines natürlichen Sprachgefühls entgegenstehen, sollen zumindest zeitweilig verlassen werden. Es soll jedoch darauf geachtet werden, immer die „Landkarte“ der traditionellen Grammatik als Referenz zu nutzen.
Meine eigene Lernbiographie ist eine schwierige: Sie ist von Brüchen, Misserfolgen und Neuanfängen gekennzeichnet. Bis zu einem Moment im Jahr 2014, in dem ich einen Kollegen auf dem Flur des Historischen Seminars der TU Braunschweig traf, mit dem ich mich über Latein und meine Tätigkeit als Lateinlehrer unterhielt. „Kennst Du Reginald Forster?“, fragte er mich. „Ich schicke Dir einen Artikel über ihn“, mit diesen Worten verabschiedete sich der Kollege.
Der Text über Reginald Forster, einen Latinisten des Vatikans, ermöglichte mir zwei Erkenntnisse. Zum einen, was einen inspirierenden und erfolgreichen Lehrer ausmacht, denn Forster unterrichtete Latein in Rom mit sehr großem Erfolg. Zum anderen, dass man Latein nicht als langweilige und tote Sprache auffassen muss, nur weil man ihr Funktionieren nie richtig begriffen hat. Auf seinen Ideen basieren meine Überlegungen, sein großes Wissen, seine langjährige Erfahrung und sein tiefes Verständnis für diese wunderbare Sprache stecken den Garten ab, in dem mein zartes Pflänzchen gedeihen soll.
Ich selbst bin kein guter Lateiner. Es reicht für mich und meine Arbeit gerade aus. Jedoch empfinde ich eine große Faszination für diese Sprache; eine Begeisterung für ihr Ausdrucksvermögen und die lange Geschichte des Lateinischen. Diese möchte ich gerne weitergeben.
Latein ist nicht schwieriger als andere Sprachen, Latein ist nur anders. Wir sind es gewohnt, instinktiv mit Sprachen umzugehen, sie einfach zu verwenden. Mit modernen europäischen Sprachen fällt uns das recht leicht. Grundlegende Prinzipien des Funktionierens einer Sprache lassen sich von der einen auf die andere übertragen, denn alle „arbeiten“ nach den gleichen Grundsätzen. Die Position eines Wortes in einem Satz bestimmt die Funktion, die das Wort im Satz einnimmt. In Aussagesätzen ist die erste Position ganz am Anfang eines Satzes ist dem sogenannten Subjekt, dem Handelnden eines Satzes vorbehalten. Im Satz „Das Mädchen geht.“ ist es eindeutig. Es ist das Mädchen, das eine Handlung vornimmt. Es geht. Was als Handlung eines Satzes die Aussage komplett macht, ist das Prädikat. Es steht an der zweiten Position. In unserem Beispiel ist es „geht“. Damit wird ausgedrückt, was das Subjekt des Satzes unternimmt.
An der dritten und jeder weiteren Stelle eines Aussagesatzes kommen Objekte, die mit der Handlung in Verbindung stehen und adverbiale Bestimmungen, die die Handlung näher beschreiben. Jede moderne Europäische Sprache funktioniert nach diesem Schema. Wir können Wörter in dieser fremden Sprache erlernen, sie in der richtigen Reihenfolge verwenden und sind so zu präzisen und verständlichen Aussagen fähig. Mit ein wenig Fleiß und Übung können wir in solchen Sprachen zu guten Anwendern und Konsumenten werden. Der Siegeszug des Englischen basiert hauptsächlich auf der Einfachheit der Grammatik, die trotz dessen eine Vielfalt an Ausdrucksmöglichkeiten ermöglicht.
Latein ist anders, als die hier beschriebenen Sprachen. Es ist zwar die Grundlage für einen Großteil der im europäischen Raum gesprochenen Sprachen, jedoch funktioniert es nach anderen Grundsätzen, es hat eine andere „Mechanik“.
Diese anderen Grundsätze muss man verinnerlichen, um einen natürlichen Umgang mit dem Lateinischen zu erlernen. Latein wird oftmals viel zu verkopft und geradezu unnatürlich gelernt. Der Umgang mit dieser tollen Sprache ist intellektuell überfrachtet – es eilt ihr ein Ruf voraus, sie sei schrecklich kompliziert und geradezu mathematisch, ja logisch aufgebaut. Dabei ist sie nicht logischer oder mathematischer als andere Sprachen. Im heutigen Lateinunterricht wird zumeist die Sprache dekonstruiert, um die Aussagen in einem zweiten Schritt im Deutschen neu zusammenzusetzen (obwohl es in der modernen Lateindidaktik tolle, neue Ansätze gibt, die es lohnen, weiter verfolgt zu werden!). Diese recht umständliche Art des Übersetzens verhindert, dass sich ein Sprachgefühl einstellt, wie es bei modernen Fremdsprachen der Fall ist. Auch wird Latein in der Hauptsache als Einbahnstraße begriffen. Wir konsumieren Latein ohne es zu produzieren; wir lesen es, ohne es selbst zu sprechen.