Die Frage, welche Bedeutung ein Feuer in Herd, Ofen oder Kamin heute haben kann, treibt mich schon eine ganze Weile um. Die ersten Gedanken daran kamen mir, als ich vor einem Feuer saß und in die Flammen schaute. Feuer – und besonders ein offenes – übt eine seltsame Faszination aus. Der Tanz der Flammen, die Geräusche, die Wärme geben ein Gefühl von behaglicher Gemütlichkeit. Ein Feuer regt an, seinen Gedanken nachzuhängen, Geschichten zu erzählen und zu singen. Ich glaube, dass Feuer eine sehr zentrale Rolle in der Geschichte spielte. Dabei muss Feuer in den ersten Begegnungen dem frühen Menschen jedoch große Angst gemacht haben. Die zerstörerische Wirkung und die Gefahr, die von einem ungezähmten Feuer ausgeht, stellt immer noch eine große Bedrohung für Menschen dar. Ein eingehegtes Feuer aber, ein gezähmtes Feuer, ist die Quelle von Gemütlichkeit. Wo beginnt aber die Gemütlichkeit in der Geschichte?
Als der Mensch lernte, Feuer absichtlich und mit der Intention der Nutzung zu entzünden, machte er den entscheidenden Schritt vom Tier zum Menschen. Immer wieder lassen sich archäologisch Nachweise sehr früher Feuerstellen (und auch solche Dinge wie Bratspieße) finden. Die ersten bekannten Feuerstellen könnten vor etwa 1,4 Millionen Jahren in Chesowanja, Kenia, wahrscheinlich durch frühe homo erectus angelegt und über einen Zeitraum unterhalten worden sein (Gowlett et al. 1981, S. 125-129).
Wichtig für unser Interesse in diesem Zusammenhang ist die wiederholte Nutzung ein und derselben Feuerstelle. Denn eine solche in Kombination mit einem Wetterschutz, wie einem Dach, macht ein Heim aus: Es schützt vor den äußerlichen Einflüssen wie Wind, Schnee und Regen, wärmt und gibt Licht. Zudem ist das Feuer als Kochstelle und zur Herstellung von Werkzeug und Gerätschaften nutzbar.
Ein solchermaßen gezähmtes Feuer hat eine zentrale Stellung für das Heim: Ohne seine Wirkungen wäre es gar nicht möglich zu wohnen. Erst durch Wärme und Licht sind Winter und Dunkelheit keine Gefahr mehr, sondern bezwingbar. Um jedoch einen ganzen Winter mit einem Feuer zu bestehen, wird auch Lagerhaltung von Brennmaterial notwendig, die das Heim zusätzlich aufwerten und ihm Gewicht für das allgemeine Leben verleihen.
In Mitteleuropa waren die Menschen der Maglemose-Kultur, die zum ersten Mal Hütten bauten, in deren Mitte eine Feuerstelle war. Sie waren zumindest saisonal sesshaft – ihre Hauptnahrungsquelle blieb die Jagd. Und dieser waren ihre Lebensumstände unterworfen, so dass sie keine langen Kontinuitäten für ihre Wohnplätze entwickelten.
Die erste Kultur, die ihr Leben als sesshafte Bauern gestaltete, waren die sogenannten Bandkeramiker – benannt nach den Randverzierungen auf ihren Tongefäßen. Sie bauten Langhäuser aus Eichen, deren Wände aus Hasel und Weidenruten bestanden. Der Mittelpunkt dieser Häuser war die Feuerstelle.
Mit dem Wandel weg von einer Kultur des Jagens und Sammelns hin zu Landwirtschaft und Viehzucht vollzogen sich Prozesse tiefgreifender kultureller Veränderungen. Mit der Sesshaftigkeit formten sich auch Ungleichverteilung und Hierachisierung aus (diese sind die Grundlage für die Kulturgeschichte des Menschen). Insgesamt musste viel Arbeit und Ressourcen in den Haushalt gesteckt werden, was diesen Besitz in der Wahrnehmung bedeutend aufgewogen haben dürfte. Hier sehe ich auch den Anfang des Burgenbaus, denn dieser scheint mir aus einer Kombination von Einfriedung (einem Innen und einem Außen) und Schutz vor Feinden (die einem an die Ressourcen wollten) gelegen zu haben. Militärische Überlegungen spielten dabei noch keine Rolle. Die Burg in ihrer Urform war der wehrhafte Wohnbau.
Wie stark sich im Laufe von vielen tausend Jahren die Wertigkeit des Heimes entwickelte, lässt sich an Beispielen aus der Sprachgeschichte ersehen. Im Lateinischen heißt die Feuerstelle focus, hier ist die zentrale Bedeutung erkennbar. Im Altsächsischen gibt es das schöne Wort hemsittan, das sich wortwörtlich als „heimsitzen“ übersetzen lässt. Gemeint ist damit die Tätigkeit des „zu hause Seins“, was für den gewöhnlichen Altsachsen der Normalzustand gewesen sein dürfte. Allein die Existenz dieses Wortes macht klar, dass es die Notwendigkeit gab, ein solches Wort in der Sprache zu haben – was auf die Wichtigkeit der beschriebenen Tätigkeit hindeutet.
Feuer wurde in der Mythologie gerne personalisiert (Grimm 1875, S. 457). Es wurde nach seiner Zähmung Teil des Haushaltes, ihm wurden sowohl gute, als auch schlechte Eigenschaften zugeschrieben:
wo heerdfeuer brennt, schlägt kein gewitter ein, wo es prasselt, da entsteht streit (ebd., S. 458)
Wie wichtig eine Feuerstelle für einen Haushalt war und dass sie den Kern eines Besitzes darstellt, erkennt man in dem Brauch aus der Lüneburger Heide
[…] Kesselhaken als Grenzmarken zu verwenden und sie auch bei einem Neubau nicht von der Stelle zu rücken (Kück 1905, S. 203).
Der Kesselhaken, der über der Feuerstelle in den alten niederdeutschen Hallenhäusern hing, war der Anzeiger für den Herd des Hofes und damit gleichzeitig pars-pro-toto für den gesamten Besitz. Er galt sogar als Besitzmarke für den rechtmäßigen Besitz des Hofes und wurde besonders vererbt (Bomann 1941, S. 75).
Kesselhaken aus der Lüneburger Heide (Bomann 1905, S. 74)
Er hatte für den Hof und die bäuerliche Familie einen besonderen Wert. Wilhelm Bomann schrieb dazu:
Der Herd mit dem Kesselhaken darüber galt bei den Bewohnern der Lüneburger Heide von Alters her als des Hauses heilige Stelle, als der Kern des Hofes. An seiner Seite wurden die von den Vorfahren überkommenen Gebräuche bei Verlobungen, Hochzeiten, Hofübergabe, Mieten von Dienstboten usw. vollzogen. (Bomann 1941, S. 75)
Der Herd und der dazugehörige Kesselhaken spielte bei vielen Ritualen des niedersächsisch-bäuerlichen Haushalts eine gewichtige Rolle. Das Feuer sollte beständig brennen, erlosch es, wurde dies als Unglück gedeutet (Kück 1905, S. 203). Die Braut, die nach der Hochzeit in das Haus ihres Bräutigams einzog, brachte das Feuer aus ihrem Elternhaus mit; der Herd im Haus des Bräutigams wurde gelöscht und die neue Hausherrin musste ihn mit der mitgebrachten Glut neu entzünden. Auch war es Brauch, dass bei Verlobung (Bomann 1941, S. 75) und Hochzeit (Kück 1905, S. 196) die Braut vom Bräutigam dreimal um den Herd geführt wurde (oder auch die Hochzeitsgesellschaft geschlossen um den Herd tanzte). Bei der Übergabe der Hofstelle von der einen auf die nächste Generation wurde der Handschlag des alten mit dem jungen Bauern bei brennendem Feuer geleistet; die Feuerstelle übergab die alte Bäuerin der jungen Frau symbolisch durch einen brennenden Span (Bomann 1941, S. 76).
Mit dem Einzug der Elektrizität verschwanden nach und nach die Feuer aus den Küchen und Häusern. Ab den 1960er Jahren verschwand der mit Holz oder Torf beheizte Küchenherd aus den niedersächsischen Häusern. Da auch mehr und mehr die alten Hallenhäuser verschwanden und zugunsten moderner Hausformen abgerissen wurden, verschwand die traditionelle Hausaufteilung, die seit der Steinzeit den nordeuropäischen Raum geprägt hatte, mehr und mehr. Geheizt wurde (und wird!) noch in einigen bäuerlichen Haushalten mit Feststoffbrennkesseln – allerdings ohne, dass eine Flamme sichtbar wäre. Öl und Gas waren viel bequemer zu handhaben. Es fällt keine Asche an, die Lagerung und oder Lieferung erfolgt anstrengungsfrei. Auch blieben in den alten Häusern oft die Kachelöfen in Betrieb, wenn die Kamine nicht für Strom- und Wasserleitungen geopfert worden waren.
Erst in den 1990 Jahren erfuhr das Feuer im Haus in Niedersachsen eine Renaissance. In Form von Kaminöfen zog es wieder in die Wohnzimmer ein. Mittlerweile wird Holz als Heizmaterial wieder wichtiger, in Form von Hackschnitzelheizungen, Holzbriketts und anderen Arten sorgt es wieder für Wärm in den Häusern. Aber das unmittelbare, offene Feuer ist heute eine echte Seltenheit: Es wurde durch Regulierung und Übervorsicht verbannt, versteckt und gezähmt.
Jeder, der eine Feuerstelle im Haus hat, weiß um den Zuwachs an Lebensqualität, den diese mit sich bringt. Es rührt eben etwas sehr altes, archaisches in uns an: Durch Feuer werden wir zum Menschen.
Literatur:
Bomann 1941: Wilhelm Bomann, Bäuerliches Hauswesen und Tagewerk im alten Niedersachsen, Weimar 4^1941.
Grimm 1875: Jacob Grimm, Deutsche Mythologie, Wiesbaden 2017.
Gowlett et al. 1981: A. J. Gowlett, J. W. K. Harris, D. Walton & B. A. Wood: Early archaeological sites, hominid remains and traces of fire from Chesowanja, Kenya. In: Nature № 294, 1981, S. 125–129.
Kück 1905: Eduard Rück, Das alte Bauernleben in der Lüneburger Heide. Reprint. Wenzendorf 2011.