In der Bundeswehr ist eine lebhafte Debatte über die Innere Führung im Gange. Dabei spalten sich die Diskutanten zumeist in zwei Lager: Die Athener und die Spartaner (Elmar Wiesental: Athen oder Sparta – Bundeswehr quo vadis?, Bremen 2010). Die „Athener“ verstehen die am Gemeinwohl orientierte und demokratisch freiheitliche Politik als Grundlage allen militärischen Handelns, die Spartaner hingegen stellen das militärische Handwerk und Exzellenz im Gefecht in den Mittelpunkt.
Beide Perspektiven besitzen ihren Reiz und ihre Berechtigung. Doch wie so oft liegt die Wahrheit in der Mitte. Ein modernes Militär, das in einer Demokratie wie der Bundesrepublik Deutschland operiert, kann weder rein spartanisch noch rein athenisch agieren. Vielmehr muss es eine Synthese beider Ideale schaffen – ein Modell, das man vielleicht als den Miles democraticus bezeichnen könnte.
Der Miles democraticus vereint die Disziplin und Fähigkeit des spartanischen Kriegers mit der Verantwortung und dem Gemeinsinn des athenischen Staatsbürgers. Er oder sie ist ein Soldat, der nicht nur für das Gefecht ausgebildet ist, sondern auch für die Reflexion über die moralischen und ethischen Grundlagen des eigenen Handelns. Denn in einer Demokratie, deren Souverän das Volk ist, kann militärisches Handeln niemals von der politischen und gesellschaftlichen Verantwortung getrennt werden.
Die historische Basis der Inneren Führung
Die Innere Führung wurde in den 1950er Jahren als Konzept entwickelt, um die Bundeswehr in die demokratische Gesellschaft der neu gegründeten Bundesrepublik zu integrieren. Ihr Ziel war es, den „Staatsbürger in Uniform“ zu schaffen – einen Soldaten, der in der Tradition der Wehrmacht, aber auch ihrer fatalen politischen Fehlentwicklungen, eine neue Identität finden sollte. Die Soldaten der Bundeswehr sollten sich bewusst sein, dass sie Teil einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung sind, die sie nicht nur verteidigen, sondern aktiv mittragen.
Dieses Konzept steht heute vor neuen Herausforderungen. Die sicherheitspolitische Lage hat sich dramatisch verändert: Einsätze in Krisenregionen, asymmetrische Kriegsführung und der Umgang mit globalen Bedrohungen wie Cyberangriffen oder Terrorismus verlangen von der Bundeswehr eine hohe operative Flexibilität. Gleichzeitig nimmt die gesellschaftliche Debatte über militärische Einsätze zu, und die Erwartungen an die moralische Integrität der Soldatinnen und Soldaten steigen.
Die Bedeutung des Dialogs
Um diese Herausforderungen zu bewältigen, ist ein Dialog zwischen den „Athenäern“ und den „Spartanern“ unerlässlich. Beide Seiten müssen anerkennen, dass weder allein die militärische Effizienz noch allein die politische und gesellschaftliche Verantwortung ausreichen, um die komplexen Aufgaben der Bundeswehr zu erfüllen. Vielmehr benötigt es eine kontinuierliche Reflexion und Anpassung des Konzepts der Inneren Führung.
Ein solcher Dialog ist nicht immer einfach. Die „Spartaner“ könnten argumentieren, dass die Fokussierung auf demokratische Werte die Einsatzfähigkeit der Truppe beeinträchtigt. Die „Athener“ könnten hingegen einwenden, dass eine Überbetonung des militärischen Handwerks die moralische und gesellschaftliche Verankerung der Bundeswehr gefährdet. Beide Argumente sind legitim und weisen auf das Spannungsfeld hin, in dem sich die Bundeswehr bewegt.
Ein Blick in die Zukunft
Die Zukunft der Inneren Führung hängt davon ab, ob es gelingt, den Miles democraticus weiterzuentwickeln. Dies bedeutet, dass Soldatinnen und Soldaten nicht nur technische und taktische Exzellenz anstreben, sondern auch in der Lage sind, ihre Handlungen kritisch zu hinterfragen und in einen größeren gesellschaftlichen Kontext einzuordnen. Es bedeutet auch, dass die Bundeswehr eine Institution bleibt, die fest in der Demokratie verankert ist und deren Handeln von den Werten Freiheit, Menschenwürde und Rechtstaatlichkeit geleitet wird.
Die Debatte zwischen „Athenern“ und „Spartanern“ wird nicht enden. Und das ist gut so. Denn nur durch den ständigen Austausch, durch das Ringen um die besten Ideen und Konzepte, kann die Bundeswehr den Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft gerecht werden. Der Miles democraticus ist nicht das Ergebnis einer abgeschlossenen Entwicklung, sondern ein Ideal, das es kontinuierlich zu verfolgen gilt – für eine Bundeswehr, die sowohl den Ansprüchen des Gefechts als auch der Demokratie gerecht wird.