Archiv der Kategorie: Gedanken

Von bösen Orks und guten Zwergen

In jeder Reportage, die man über den Krieg in der Ukraine lesen kann, findet man Referenzen auf J R R Tolkiens „Herr der Ringe“. Da ist von „Orks“ zu lesen, die von Osten her angreifen und von Männern, die sich „Gimli“ nennen.

Ein amerikanischer Kollege schrieb mir vor kurzem von „orcish T54s“. Und in der sozialen Medien kursieren eine Menge Memes zum Thema. Der Bezug zum Werk Tolkiens ist aber weit mehr als nur eine postmoderne Medienreferenz – obschon sich der Bezug anbietet, um die absurd böse Aggression Russlands auch nur ansatzweise mit Bedeutung zu belegen und erzählbar zu machen.

Der Begriff „Ork“ ist sehr viel älter, als man annehmen möchte. Er leitet sich vom Lateinischen orcus ab, was Unterwelt bedeutet. Schon Plinius der Ältere verwendet orc als Name für ein Ungeheuer. Von diesem Ursprung an wird Ork/orc als Bezeichnung für Ungeheuer und böse Wesen immer wieder in der europäischen Sprachfamilie über die Zeit des Mittelalters verwendet – bis ihn Tolkien entdeckt und für sein fantastisches Werk verwendet. Als belesener Philologe und Professor für englische Sprachwissenschaft nutzt er die reichen Steinbrüche der älteren nordischen Literatur für sein Schaffen. So entstammen sehr viele Namen den Sagas oder lateinischen Quellen des Mittelalters.

Mit der Belegung der russischen Invasionskräfte als „Orks“ findet also nicht nur eine moderne Referenzierung statt, sondern hier werden sehr viel ältere narrative Strukturen bemüht. Der Angriff aus dem Osten ist eine westeuropäische Urangst. Die ukrainischen Soldaten, die sich bewusst „Gimli“ nennen, stellen sich also auch in eine Tradition, die sich kommunikativ im Westen verwurzelt. Die reichhaltigen Bezüge zum Wikingertum, das Verwenden von Runen und der Bezug zur Fantasieliteratur zeigen die Suche nach Identität, die sich bewusst vom östlichen Nachbar abgrenzt und sich dem freien Europa zuwendet.

Links:

https://www.welt.de/politik/ausland/plus245381310/Bachmut-Dann-bricht-im-russischen-Schuetzengraben-Panik-aus.html

https://www.rnd.de/panorama/ukraine-warum-die-russischen-besatzer-als-raschisten-und-orks-bezeichnet-werden-7YJ423VZ4DM64XMTDT6H35OSAM.html

Was ist Geschichte?

Unter Geschichte verstehen wir drei Dinge. Zum einen ist damit die Gesamtheit der Vergangenheit gemeint, vom Urknall bis zur Gegenwart. Zum zweiten meint Geschichte die Vergangenheit der Menschheit, die als Bedingung unserer gegenwärtigen Realität verstanden wird. Zum dritten ist Geschichte aber auch eine Wissenschaft. Jede Wissenschaft beruht auf Beobachtungen, die Menschen machen und die diese dann kritisch überprüfen, kontextualisieren und interpretieren. 

Weiterlesen

Historische Gemütlichkeit, oder: Warum ein Feuer im Haus so wichtig ist.

Die Frage, welche Bedeutung ein Feuer in Herd, Ofen oder Kamin heute haben kann, treibt mich schon eine ganze Weile um. Die ersten Gedanken daran kamen mir, als ich vor einem Feuer saß und in die Flammen schaute. Feuer – und besonders ein offenes – übt eine seltsame Faszination aus. Der Tanz der Flammen, die Geräusche, die Wärme geben ein Gefühl von behaglicher Gemütlichkeit. Ein Feuer regt an, seinen Gedanken nachzuhängen, Geschichten zu erzählen und zu singen. Ich glaube, dass Feuer eine sehr zentrale Rolle in der Geschichte spielte. Dabei muss Feuer in den ersten Begegnungen dem frühen Menschen jedoch große Angst gemacht haben. Die zerstörerische Wirkung und die Gefahr, die von einem ungezähmten Feuer ausgeht, stellt immer noch eine große Bedrohung für Menschen dar. Ein eingehegtes Feuer aber, ein gezähmtes Feuer, ist die Quelle von Gemütlichkeit. Wo beginnt aber die Gemütlichkeit in der Geschichte? Weiterlesen

Gedanken zu: dem Umgang mit Geschichte

Nostalgie scheint mir ein wichtiger Antrieb zu sein, sich mit Geschichte auseinanderzusetzen. Und dabei ist Nostalgie ein weiches Bett, in das man sich legen kann: Wir ergehen uns in der Liebe zur Vergangenheit, weil wir meinen, darin die „gute alte Zeit“ zu entdecken. Eine Zeit, in der alles noch etwas einfacher war, in der alles noch nicht so gehetzt und so komplex war. In der man noch ohne Smartphone und Internet leben konnte, in der man nicht immer erreichbar war und es im Winter noch schneite. Und es im Sommer Hitzefrei gab. Weiterlesen

Latein anders lernen, Pars Prima

Kann man Latein anders lernen, anders lehren? Ich glaube fest daran, dass es geht. In einer losen Serie von Beiträgen möchte ich andere Wege aufzeigen, wie Begeisterung für diese wunderbare Sprache geweckt werden kann. Die ausgetretenen Pfade der althergebrachten Grammatiken, die abschrecken, vieles sehr kompliziert erscheinen lassen und der Entwicklung eines natürlichen Sprachgefühls entgegenstehen, sollen zumindest zeitweilig verlassen werden. Es soll jedoch darauf geachtet werden, immer die „Landkarte“ der traditionellen Grammatik als Referenz zu nutzen. Weiterlesen

Das angereicherte Mittelalter

Bei den Weihnachtseinkäufen ist es mir aufgefallen: Spielzeug, das das Mittelalter zum Thema hat, wird immer fantasy-lastiger. Es gibt kaum noch Burgen & Ritter, die nicht mit Elementen aus den großen Fantasy-Erzählungen unserer Zeit angereichert wären. Überall müssen es „Drachenritter“ und „Drachenburgen“ sein, Schwerter sind möglichst breit und gezackt, Wesen wie Trolle und Elfen geben sich ein Stelldichein. Was für ein MIttelalterbild kommt da auf uns zu? Weiterlesen